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Wird meine Trauer je vorbeigehen?



Ich werde immer wieder gefragt, wie lange Trauer dauert. Ob sie jemals weggeht? Meist werde ich das von verzweifelten Angehörigen gefragt, die vor kurzem einen geliebten Menschen verloren haben.

Darauf gibt es aber keine Antwort, zumindest keine pauschale Antwort.

Eine der schlimmsten und schmerzlichsten Erfahrungen ist der Verlust eines geliebten Menschen. Die Trauer, die auf diesen Verlust folgt, ist eine natürliche Reaktion. Wir spüren das nicht nur seelisch, sondern auch körperlich. Es fühlt sich absolut nicht gut an.

Es tut so weh.


Aber wie lange bleibt die Trauer eigentlich Wegbegleiterin in unserem Leben? Oder verlässt sie uns eventuell gar nicht mehr?


Mein Trauern ist individuell

Trauern ist ein sehr komplexer Gefühlszustand. Und variiert von Mensch zu Mensch natürlich.

Früher gab es das Trauerjahr, das jeder von uns vermutlich vom Erzählen noch kennt. Leider legt dieser Glaubenssatz nahe, dass es nach einem Jahr "vorbei" ist mit dem Trauern.

Doch so einfach ist es nicht.

Das erste Jahr ist bei den meisten eine reine Achterbahn der (negativen) Gefühle: den ersten Geburtstag feiern ohne den geliebten Menschen, Weihnachten, den ersten Todestag. Es fühlt sich so an als sei man erst seit gestern ohne diesen Menschen. Viele befinden sich da durchaus noch in der Schockphase.


Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Dauer der Trauer von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängt, die zudem auch noch sehr individuell sind. Schauen wir uns diese doch mal an:



  1. Art der Beziehung: Vorab: Trauer sollte nicht bewertet werden. Es ist nicht schlimmer, dass der Vater gestorben ist oder weniger schlimm, dass es "nur" der Uropa war. Sondern es kommt auf die ART der Beziehung an, die man zur verstorbenen Person hatte. Je enger und näher die Beziehung zur/zum Verstorbenen war, desto länger ist die Trauerphase. Auch welche ROLLE die verstorbene Person hatte ist wichtig: spielte sie eine wichtige Rolle in meinem Leben, in meiner Zukunft, in meinem ALLTAG, in meinen Plänen, mein Leben zu leben? Ist sie Teil meiner Identität und gab mir auch SINN in meinem Leben?

  2. Persönlichkeit: Damit ist MEINE Persönlichkeit gemeint. Bin ich ein Mensch, der die Gefühle zeigt oder mache ich sie eher mit mir selber aus? Trauere ich besser im Austausch mit anderen Menschen oder setze ich mich lieber alleine mit meinen Gefühlen auseinander? Da gibt es kein "richtig" oder "falsch". Es ist schlichtweg Typsache.

  3. Bewältigungsstrategien: Diesen Punkt finde ich persönlich total spannend. Denn es geht um die Art und Weise, wie jemand mit Schmerz umgeht. Und das beeinflusst die Dauer der Trauer. Zumindest der akuten Trauer. Was heisst das konkret? Suche ich mir Hilfe und somit aktiv Unterstützung durch soziale Kontakte? Finde ich eher in der Natur meinen Trost? Ins TUN zu kommen, aktiv zu sein, kann sehr heilsam sein. Manche Menschen brauchen Veränderungen, um weiterleben zu können. Und sei es, das Schlafzimmer neu einzurichten. Andere wiederum brauchen das genaue Gegenteil: Sicherheit und Stabilität. Veränderung wäre bei diesen Menschen nicht so hilfreich. Wichtig ist, dass man sich bewusst machen KANN, was man braucht und dann dieses Wissen nutzt.

  4. Unterstützungssystem: Es ist so wichtig, das trauernde Menschen nicht alleine sind. Sondern dass sie Unterstützung erfahren. Und zwar nicht nur am Anfang, sondern auch längerfristig. Manche Trauernde haben das Gefühl, ihr "Trauerpotential" schon ausgeschöpft zu haben, Das Umfeld kann es eventuell nicht mehr hören. Da bietet sich eine professionelle Trauerbegleitung an. Oder auch Trauercafés sind sinnvoll - zum Austauschen mit "Gleichgesinnten". Klingt grausam, aber es kann so hilfreich sein. Man teilt den Schmerz, man fühlt sich vielleicht weniger allein. Die meisten Angebote sind übrigens kostenlos. Man muss "nur" den Weg dorthin finden. Sich trauen.

  5. Kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse: Kennt Ihr den Film "COCO" von Disney? Da geht es um die Trauerkultur in Mexiko. Schaut Euch diesen Film an, gerne mit Euren Kindern, wenn Ihr welche habt. Ich habe ihn mit meinem damals 7-jährigen Sohn angesehen und kann ihn von Herzen empfehlen. In unserer Kultur wird nicht offen getrauert. Ganz im Gegenteil, ab einer bestimmten Zeit hören Trauernde auch Sätze wie "Du musst loslassen" oder "Das Leben geht weiter". Auch geweint wird nicht in der Öffentlichkeit. Manche Trauernde werden sogar gemieden, weil man vielleicht nicht weiss, was man sagen soll. In anderen Kulturen wird offener getrauert. Es darf geweint werden, auch geschrien, es darf GEKLAGT werden. Es wird darüber GEREDET. Der Tod wird nicht gemieden. Und Trauer braucht tatsächlich RAUM und ZEIT. Sie ist Teil unseres Lebens, dieses neuen Lebens. Und sie braucht Platz. Sie gehört zu uns dazu.


Ich trauere, ich bin nicht krank

Trauer ist keine Krankheit. Vielmehr ist es ein (natürlicher) Prozess. Ein Prozess, um uns an das neue Leben zu gewöhnen. Und dazu gehören so viele viele Gefühle. Traurigkeit, Schmerz, Verzweiflung, aber auch Wut, Zorn. Wir fühlen auch viel körperlich: wir haben keinen Hunger mehr, können nicht mehr gut schlafen, sind so unendlich erschöpft. Das ist tatsächlich alles normal. Schmerzhaft, aber normal.

Wenn diese Symptome allerdings mitunter jahrelang sehr intensiv erlebt werden, spricht man von einer komplizierten oder pathologischen Trauer. Da können sich auch Angststörungen oder Depressionen daraus entwickeln. Deshalb wurde diese sehr schwere Form der Trauer auch “als eigenständige Erkrankung in die internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen”.¹



Fazit

Wir neigen dazu, Schmerz zu vermeiden. Trauer zu pathologisieren . Das kann wiederum sehr schmerzhaft für die Trauernden sein. Sie stehen eh schon am Rande ihres eigenen Lebens, wissen nicht, wie sie den Schmerz überleben sollen und werden vom Umfeld auch noch pathologisiert. Das ist hart. Es ist an uns, Trauer in unsere Gesellschaft zu lassen, auch wenn Trauer nichts Schönes ist. Es nicht mehr zum Tabuthema zu machen.

Trauer braucht Zeit und Raum. Es ist etwas Natürliches und gehört paradoxerweise zum LEBEN dazu.

Wie lange dauert die Trauer also nun? Die Dauer hängt von so vielen Faktoren ab, dass ich immer noch keine pauschale Antwort geben kann :-). Aber sie ist nach einem Verlust Wegbegleiterin unseres Lebens. Sie ist mal stärker da, mal schwächer. anfangs versuche ich schlicht zu überleben, später bin ich Überlebende. Aber sie geht nicht mehr weg, sie gehört nun zum Leben dazu.




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