Wenn Kinder sterben: Ein Einblick in meine Arbeit als Trauerrednerin in München
- hannalabita80
- vor 2 Tagen
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Die größte Angst: Wenn Kinder sterben
Im heutigen Blog fällt es mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Schwer, in Worte zu fassen, was ich tief in meinem Inneren ausdrücken möchte – was ich an Trost und Erfahrung weitertragen möchte. Ich begleite jedoch immer häufiger Abschiede, bei denen es genau darum geht: um Kinder. Um den Verlust eines Kindes.
Wenn Kinder sterben und ich als Trauerrednerin den Eltern gegenübersitze, beim Familiengespräch. Ich weiß nicht, ob es eine Rolle spielt, dass ich selbst Mama bin, aber bei meinem ersten Gespräch mit verwaisten Eltern (so lautet der Fachausdruck) war ich mir sicher: Das kann ich nicht. Dass ich zusammenbrechen würde.
Ich bin nicht zusammengebrochen. Das Gespräch war – auf eine ganz eigene Weise – schön. Friedlich, voller Schmerz und voller Traurigkeit. Aber als ich danach heimfuhr, war ich sicher: Diese Rede kann ich unmöglich schreiben. Wie soll ich das alles in Worte fassen?
Im Auto rief ich meinen Mann an, völlig verzweifelt, und sagte ihm, wie anmaßend ich es finde, zu glauben, dass ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Er meinte nur: „Wenn nicht du – wer dann?“
Überlebende: was ich von verwaisten Eltern gelernt habe
Ich habe meine Ausbildung zur Trauerbegleitung mit vier Mamas und Papas gemacht, die ihre Kinder verloren hatten. Ein Jahr lang haben wir uns begleitet. Den Schmerz gefühlt. Die Verzweiflung ausgehalten. Und ihre unfassbare Stärke gesehen.
Ein Jahr lang war ich tief verwurzelt in den Geschichten dieser besonderen Eltern. Ich lernte ihre Kinder kennen – durch ihre Worte, ihre Erinnerungen. Die kleine Maja, die bei einem Unfall starb. Den etwas älteren Moritz, der ebenfalls durch einen Unfall aus dem Leben gerissen wurde. Den kleinen Quirin, der krank zur Welt kam. Und Amelie, die mit 16 an einer Infektion verstarb. (Die Namen habe ich selbstverständlich geändert.)
Diese Kinder, diese Geschichten – sie haben mich getragen. Und die Eltern, die sich zur Trauerbegleitung ausbilden ließen, wollten ihre Liebe und ihre Erfahrungen weitergeben. An andere Eltern, die das Gleiche erleben müssen.
Für mich sind diese Eltern Überlebende. Ihre Stärke hat etwas mit mir gemacht. Sie hat mir gezeigt, dass das Leben weitergehen kann – selbst wenn das Schlimmste passiert, was man sich vorstellen kann.
Warum Kinderverlust für mich der größte Schmerz ist
Trauer wird nicht bewertet. Trauer ist individuell. Jeder von uns trauert anders.
Ehrlicherweise habe ich aber damit immer etwas meine Probleme gehabt. Denn ich bin dabei, dass man in der Trauer nicht bewertet. Aber wenn es um ein Kind geht, bewerte ich für mich. Da fällt mir dieses „nicht bewerten“ schwer.
Für mich persönlich ist das der schlimmste Verlust, den ein Mensch erleben kann. Nichts ist vergleichbar damit. Vielleicht ist es der Instinkt. Vielleicht ist es Muttersein. Vielleicht beides.
Zurück zu meinem ersten Kinder-Trauergespräch mit den Eltern, die ihren vierjährigen Sohn verloren hatten.
Nach dem Gespräch im Auto und dem Telefonat mit meinem Mann kamen die Tränen. Ich habe sehr geweint. Alles rausgelassen. Das war wichtig.
Ich kann nur halten, wenn ich meine eigenen Gefühle kenne. Wenn ich sie zulasse. Wenn ich in mich hineinhorche.
Die Lebensrede: Eine Hommage an die unendlich kleinen Dinge
Danach bin ich heimgefahren, habe mich an meinen Schreibtisch gesetzt und angefangen zu schreiben. Über das, was dieser kleine Junge in das Leben seiner Eltern, seiner Geschwister und seiner Großeltern gebracht hat. Wie er seine Tante zum Lachen brachte, wenn er so tat, als müsste er pupsen. Wie er sich vor seiner Oma versteckte und in lautes Lachen ausbrach, wenn sie ihn fand. Wie er mit dem Opa „ganz wichtig“ im Garten gearbeitet hat. Wie er mit seiner Mama jeden Abend die Geschichte von der kleinen Eule mit der Beule las – und danach gekuschelt wurde. Wie er auf Papas Rücken kletterte und so tat, als wäre der Papa ein Tiger, mit dem er wilde Abenteuer im Wohnzimmer erlebte.
Ich habe versucht, all das in Worte zu fassen. Und noch so viel mehr. Was der Kleine der Familie geschenkt hat. Welche Liebe durch ihn sichtbar wurde.
Was er sie tagtäglich gelehrt hat:
Dass ein Tag ohne Lachen sinnlos ist
Dass ein Tag mit Eis besser ist als ein Tag ohne.
Dass kleine Freuden große Wirkung haben.
Ich habe nicht beschrieben, wie brutal der Verlust war. Wie groß der Schmerz ist. Das weiß die Familie selbst. Das fühlt sie. Das muss ich nicht betonen.
Meine Rede war eine Hommage an das Leben dieses kleinen Jungen.
Eine Hommage an all das, was er war – auch wenn er nur kurz hier bei uns sein durfte.
Nur für einen Augenblick der Welt zeigen konnte, was alles in ihm steckte:
wie viel Liebe, wie viel Lachen und wie viele Gummibärchen er auf einmal essen konnte.
Ich nehme Geschichten mit heim – Und das ist okay
Ob ich während der Rede geweint habe? Nein. Ich bin in den professionellen Modus gewechselt, ganz unbewusst, ganz automatisch. Ich konnte halten. Ich habe die Zeremonie so geführt, dass die Familie Sicherheit spürte.
Aber davor habe ich geweint. Und danach. Nachts. Ich habe es mit heimgenommen, was aus psychologischer Sicht nicht optimal ist
Ich sehe das aber etwas anders: ich nehme Geschichten oft mit heim. Und bei Kinder-Geschichten immer. Ich kann sie nicht bei den Familien lassen. Ich tauche ein, ich fühle mit. Sie reisen mit mir nach Hause. Und das ist okay. Ich verarbeite es auf meine Weise. Nur so kann ich eine gute Trauerrednerin sein. Eine Lebensrednerin. Ich gehe daran nicht kaputt. Ich verarbeite.
Am Ende nahm mich die Mama fest in den Arm. Sie weinte und sagte nur: „Danke, Hanna, dass du das so gemacht hast. Danke, dass ich sogar lachen durfte über die Erinnerungen an meinen Kleinen. Danke, dass du für uns da warst.“
Ich denke noch oft an meine erste Kinder-Trauerfeier. An meine Angst, dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden. An den Schmerz und an die überwältigende Trauer.
Ich bin bis heute mit den Eltern in Kontakt – und darüber sehr glücklich. Sie sind Überlebende. Überlebende, die ihr Kind beerdigt haben.
Und seit dieser Trauerfeier weiß ich: hier habe ich meine Berufung gefunden. Kinder zu verabschieden. Ich weiß, dass manche Kolleg:innen diese Abschiede ablehnen – aus guten Gründen. Weil sie ehrlich zu sich selbst sind und wissen: das ist zu schwer. Und es in ihrer aktuellen Lebensphase vielleicht nicht gut wäre für sie. Und das ist total wichtig, sich dem bewusst zu werden.
Ich aber habe gemerkt: Ich kann das. Es ist mein kleines Herzensprojekt.
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Wenn ihr euch eine einfühlsame, lebenszugewandte Rede für euren Abschied wünscht – schreibt mir einfach.
Ich halte eure Geschichten.
Eure Hanna
Meldet euch gerne, wenn Ihr mich braucht. Als Trauerrednerin, als Trauerbegleiterin oder auch nur als Wegbegleiterin.
Schaut auch auf meine Seite "Kinderbestattungen" rein.




Uuuuuh Hanna, deine Beiträge gehen mir immer nah, aber dieser besonders doll.