Die Trauer kommt selten allein. Meist kommt sie in Begleitung eines schlimmen Gefühls-Wirrwarrs.
Das Wirrwarr kann aus Neid, Scham, Wut, Sehnsucht oder eben oft auch aus Schuldgefühlen bestehen. Wie komme ich drauf, darüber zu schreiben?
Als Trauerrednerin und Trauerbegleiterin werde ich immer wieder mit den zum teils starken Schuldgefühlen von Angehörigen konfrontiert. Und mir wurde bewusst, wieviel Raum das Thema Schuld einnimmt.
Eine tatsächlich objektive Schuld gibt es meist gar nicht, aber das Gefühl ist bei den Trauernden dennoch da.
WARUM ist diese Schuld da, was ist eigentlich ihre Funktion und was könnte eventuell dagegen helfen?
Typische Beispiele für Schuldgefühle und Schuldzuweisungen während der Trauer
Wenn jemand verstorben ist, kommen tatsächlich oft Schuldgefühle und Selbstvorwürfe bei den Angehörigen zum Vorschein. Und als Außenstehende/r kann das manchmal ganz schwer auszuhalten sein, wenn wir sehen, dass Menschen sich so quälen.
Denn WIR empfinden diese Gefühle meistens als unbegründet und es ist normal, den Impuls zu verspüren, zu sagen: „Nein, du bist nicht schuld, das ist doch Unsinn“.
Aber rein objektiv betrachtet kann man als Außenstehende/r noch sooft betonen, nein, du hast keine Schuld, das Gefühl BLEIBT.
Solche Schuldgefühle können sich übrigens auch nach außen richten und andere für den Verlust verantwortlich machen, was zusätzlich Wut und Ärger hervorruft.
Schauen wir mal, wann diese Schuldgefühle "gerne" zum Vorschein kommen:
Nach einer Trennung sucht man oft die Schuld bei sich selbst oder bei/m Ex-Partner/in: „Nur weil ich immer so egoistisch war“, „Nur weil sie/er mir nie Liebe gezeigt hat“.
Bei einem Schwangerschaftsverlust macht sich die Mama oft Vorwürfe: „Vielleicht hätte ich noch gesünder essen sollen, vielleicht hätte ich doch noch mehr auf mich achten sollen!“
Bei einer schweren Krankheiten kommt oft: „Ich hätte früher zum Arzt gehen müssen, dann hätte man es vielleicht früher erkannt“, oder „Sie hat ja auch immer viel geraucht – konnte ja nicht anders kommen“.
Im Todesfall sind die Vorwürfe vielfältig: „Die Ärzte haben einfach nicht genug getan“, „Hätte ich ihn doch nicht gebeten, das noch für mich zu besorgen, dann wäre der Unfall nie passiert“, „Ich war ein schlechter Papa, deshalb ist er auf die schiefe Bahn gekommen und hat er Drogen genommen“.
Was genau ist das Schuldgefühl eigentlich?
Das Schuldgefühl ist eigentlich total sinnvoll, URSPRÜNGLICH.
Unsere Vorfahren konnten nur in Gruppen überleben, daher mussten bestimmte Regeln für ein harmonisches Zusammenleben eingehalten werden. Wenn jemand diese Regeln verletzt hat, führte das zu Schuldgefühlen und das wiederum führte dazu, dass wir uns entschuldigten oder versuchten, Wiedergutmachung zu leisten, um wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Diese Mechanismen waren ziemlich wichtig, denn sie sicherten einst unser Überleben.
Soweit so gut. Schaut man sich die oben genannten Beispiele an, wird deutlich, dass es hier nicht um juristische Fragen geht. Kein Gesetz wurde übertreten. Oft lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob das eine tatsächlich zum anderen geführt hat.
„Die Realität“ ist viel komplexer und lässt sich nicht auf einen einzigen Grund reduzieren, auch wenn das Schuldgefühl uns dies glauben machen will. Es geht vielmehr um das eigene moralische Denken und das Überschreiten einer persönlichen Regel, die uns vorher vielleicht gar nicht bewusst war. Es ist die Suche nach einem Grund, WARUM etwas passiert ist.
Was "nützt" uns das Schuldgefühl?
Die oben genannten Beispiele für Schuldgedanken trotzen oft jeglicher Vernunft und Realitätsprüfung. Menschen fühlen sich trotz aller Argumente weiterhin schuldig oder weisen Schuld zu. Warum ist das so?
Drei wichtige Funktionen des Schuldgefühls:
Schuld als eine Art "Vorwand": Es ist manchmal schlichtweg leichter auszuhalten, wenn man jemanden die Schuld geben kann für den eigenen Schmerz. Wir kennen das alle im Kleinen. Man stößt sich den kleinen Zeh und wettert auf den Partner, der den blöden schweren Karton dort liegen gelassen hat und nun schuld an unserem Schmerz ist. Und so kann es auch bei vielen Todesfällen sein: jemand ist Schuld am Tod meines geliebten Menschen. Schuldzuweisungen können als Schutzreaktion dienen, um die volle Wucht der Trauer abzumildern. Auch sich selbst schuldig zu fühlen, kann manchmal vor einer zu intensiven Trauer schützen und den Trauerprozess blockieren.
Schuld gegen das Gefühl von Kontrollverlust und Ohnmachtsgefühl: Wir erleben tagtäglich viele unkontrollierbare Faktoren in unserem Leben. Die Schuld hilft uns dabei, wieder so eine Art Kontrolle zurückzubekommen. Wenn ich denke, ich weiss, warum was passiert ist, habe ich das Gefühl, ich kann es eventuell ändern und verhindern. Meine Freundin ist an Krebs erkrankt? Sie hat aber auch immer geraucht, zum Glück rauche ich nicht, also ist mein Gefühl nach Sicherheit wieder hergestellt. Die Schuld hilft also, um unsere Angst vor dem Unbegreiflichen zu bändigen. Ich kann also VERSTEHEN, warum etwas Unbegreifliches passiert ist. Das Verstehen für uns Menschen ist elementar, dadurch habe ich meine "Ordnung" wieder hergestellt.
Schuld, um mich der Person nah zu fühlen: Schuld kann auch ein Versuch sein, Verbundenheit zur verstorbenen Person herzustellen. Sie ist eine Art Bindeglied zu ihr. Ich stelle Nähe her, auch wenn es wahnsinnig weh tut.
Was hilft gegen diese Schuldgefühle ?
Wenn Du selber trauerst, kannst Du Dir vielleicht überlegen, ob eine der Gründe, warum Du Schuld empfindest, auf Dich zutreffen kann. Wenn Du einer/m Trauernder/m helfen möchtest, dann kannst Du gemeinsam mit ihr/ihm vielleicht das herausfinden.
Vielleicht steckt auch ein anderes Gefühl dahinter, welches Du momentan nicht fühlen kannst oder vielleicht auch nicht fühlen möchtest? Lass bei Trauer die Momente der Trauer zu, immer wieder, mache sie Dir bewusst, indem du bewusst Erinnerungen zulässt und nicht sofort an was anderes denkst, wenn Erinnerungen hochkommen. Vielleicht hast Du auch jemanden an deiner Seite, mit dem du darüber sprechen kannst. Und zwar immer wieder.
Wenn Dein Schuldgefühl eher darauf abzielt, dass Du etwas hättest verhindern können und Deine Gedanken darum kreisen (Stichpunkt: Sicherheitsgefühl), schreib Dir mal genau auf, was Du wirklich hättest verhindern können. Ob Du wirklich Kontrolle darüber gehabt hättest.
Wenn Du das Gefühl hast, dass Dir Deine Selbstvorwürfe vielleicht eher dabei helfen, die Bindung zu Deinem verstorbenen Menschen nicht ganz zu kappen, überlege Dir, wie Du noch anderweitig Bindung aufbauen kannst. Vielleicht durch bestimmte Rituale, durch Dinge, die dieser Mensch vielleicht immer gemacht hat und Du übernehmen kannst? Meine Oma hat beispielsweise immer Dampfnudeln gebacken. Wenn ich diese Dampfnudeln nach ihrem Rezept backe, ist sie gefühlt an meiner Seite und freut sich über eine besonders gelungene Kruste. Vielleicht findest Du in der Beziehung zu Deinem verstorbenen Menschen auch so etwas ähnliches?
Weitere Tipps:
Generell möchte ich noch ein paar Tipps hier lassen, die Dir vielleicht helfen in Deiner Trauer.
Rede mit Deinem Umfeld über Deine Gefühle und darüber, was in Deiner Gedankenspirale vor sich geht
Schreibe Dir sorgfältig alle Fakten auf und überlege, ob Du wirklich das Wissen von heute auch damals hattest und Du wirklich was anders hättest machen KÖNNEN. Und was Deine Gründe waren, warum Du damals so gehandelt hast wie Du es getan hast.
Sei gut zu Dir. Sei mitfühlend mit DIR. Wenn Du eine Freundin oder ein Freund von Dir wärst, was würdest du sagen? Würdest du ihr/ihm Vorwürfe machen?
Schreibe Deinem verstorbenen Menschen einen Brief oder eine Email. Drücke da aus, was Du ihr/ihm noch gern gesagt hättest. Und dann überlege Dir, wie Dein Mensch darauf reagiert hätte.
Wenn Du das hier liest, kann es sein, dass Du einen inneren Widerstand fühlst. Und merkst, dass Du Deine Schuldgefühle eigentlich gar nicht aufgeben möchtest. Das ist vollkommen ok, denn das machst Du dann bewusst und reflektiert. Schuldgefühle - vor allem, wenn sie immer tiefer gehen, können aber die Trauer auch blockieren. Wenn Du dieses Gefühl hast, ist es nie verkehrt, sich professionelle Hilfe dafür zu suchen in Form einer psychologischen Unterstützung oder einer professionellen Trauerbegleitung.
Eure Hanna
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